Für ihn… und ein bisschen für mich – der Guston Henley Pullover
Auf meinem Blog habe ich vorerst drei Kategorien eingerichtet: Nähen, Stricken und Slow Fashion. Ein kurzer Überblick zeigt, wo ich meinen klaren Fokus habe: dies ist erst der zweite Post, der sich um ein selbstgestricktes Kleidungsstück dreht. Und das, obwohl ich zum Nähen erst durchs Stricken gekommen bin! Und, wenn ich mal ganz, ganz ehrlich bin: das Stricken an sich, die Haptik der Nadeln, die gleichmäßige Bewegung der Hände…. macht mir fast mehr Spaß als das Nähen. Heftfäden rauswuzeln, Nahtlinien markieren, Ärmel einsetzen – es gibt zu viele lästige Arbeiten auf dem Weg zum Traumteil 🙂
Stricken – ein Stiefkind unter den Hobbies
Warum habe ich dann überhaupt mal darüber nachgedacht, mit dem Stricken (zumindest von Oberteilen) aufzuhören? Untragbares und Schreckliches habe ich bereits sowohl mit Bambusnadeln als auch mit der Nähmaschine produziert…
Aber das Stricken dauert so lang! Tage, Wochen, ja Monate können vergehen, bis man zumindest das Augenmaß zu Hilfe nehmen kann, um zu sagen, ob das was wird mit der Passform oder nicht. Da ist nichts mit „ich gehe heute früher von der Arbeit und schiebe eine drei-Stunden-Strick-Session ein, um zu sehen, wie der Pulli sitzt, den ich gestern angeschlagen habe“. Und was denkt man sich, wenn man nach 3-4 Wochen Arbeit endlich ein fast komplettes Rücken/Vorderteil in der Hand hält? Also, ich weiß nicht, wie das andere handhaben, ich denke immer, „wird scho passen“. 🙂 Tut es ja auch oft. Aber manchmal auch nicht. Aber das erfahre ich ja erst in ferner Zukunft (=weiteren 4-5-10… Wochen).
Für diesen großartigen Pullover nach der Anleitung von Brooklyn Tweed habe ich sagenhafte 8,5 Monate gebraucht:
Und es hat sich voll und ganz ausgezahlt.
Guston Pullover – die Entstehung
Anleitung von Ann Budd (Brooklyn Tweed Kollektion 2012) – teuer, aber gut! Sehr ausführlich, gut gegliedert, mit Bildern und Grafiken, einfach top.
Wolle: Jamieson’s of Shetland Double Knitting, Farbe Atlantic. Auch diese Wahl kann ich uneingeschränkt weiter empfehlen (wuhuu, endlich mal ein rundum positiver Post! 🙂 ) Das Beste: die Wolle gibt es in über 200 Farben!
Nadeln: 4 mm (ja, genau, für Herrengröße 48/50. Ich bin ein Held).
Ich habe mich damals (vor über 10 Monaten 😉 für diese Wolle entschieden, weil ihre Maschenprobe sehr ähnlich zum Original Guston-Modell ist. In einer russischsprachigen Strick-Community habe ich außerdem gelesen, dass genau diese Wolle von der rauen Shetland-Insel einmalige Eigenschaften aufweist, wenn es um Wärmeregulation geht. Das heißt, der Pulli wärmt hervorragend, aber es wird einem nicht stickig heiß, wenn man sich in warmen Räumen aufhält.
Unsere Reise nach Rotterdam Ende April war somit ideal, um den Pullover (= die Wolle) zu testen. Was habe ich mich in den letzten Wochen vor der Reise beeilt!
Was soll ich sagen, er war einfach perfekt. Wir müssen uns hier nicht rein auf die Worte von meinem Liebsten verlassen (was verstehen schon Männer von der Thermoregulation, pff!), denn auch ich habe den Pullover getragen. Es heißt ja in der Beschreibung zur Anleitung, „unisex garment“. Somit war er jeden Tag im Einsatz und wir hatten wirklich viel Freude daran.
Ach ja, und die Metallknöpfe haben wir bei unserem letzten Paris-Besuch im legendären Montmartre-Viertel ausgesucht und gekauft. Sie sind eigentlich viel zu schwer für ein Strickstück, aber wenn sich mein Mann etwas in den Kopf gesetzt hat… So kann er die Knopfleiste halt nicht offen tragen, sei’s drum.
Und die Stolpersteine?
Zwei Sachen haben mir die Vollendung etwas erschwert.
Zum einen: achteinhalb verdammte Monate Arbeit, und das auch noch für wen anderen 🙂 Wem dabei nicht die Puste ausgehen würde, möge sich bitte melden in den Kommentaren.
Das andere ist ein Spezifikum des Strickmusters: Der Pullover wird zuerst in Runden glatt rechts gestrickt, bis kurz vor den Armausschnitten das Zopf/Schachbrettmuster einsetzt. Zöpfe ziehen ja bekanntlich ein Strickstück zusammen – oft werden vor einem Zopfbeginn Extra-Maschen aufgenommen. Dies ist in dieser Anleitung nicht der Fall. Diese Zöpfe gehen aber auch nur über zwei Maschen, und ich kann mir vorstellen, dass dieser Effekt bei einem loseren Gestrick weniger oder gar nicht einsetzt. Ich bin aber eine absolute Feststrickerin, und bei mir gilt: was sich zusammen ziehen kann, das zieht sich zusammen, und zwar stärker als erwartet.
Aus diesem Grund schien der Pullover unten viel weiter als oben, und bei den Schultern wirkte er gar unnatürlich schmal. Ich hoffte einfach bis zuletzt, dass die eingesetzten Ärmel die Schultern auseinander ziehen würden. Dieser Effekt ist auch eingetreten – der Pullover sitzt in meinen Augen gut.
Mein eitler Sonnenschein bemäkelt daher an dem Schnitt, dass er ein kleines Bäuchlein formt – ich bin der Meinung, wo nichts ist, da kann auch nichts geformt werden, husch. Die vergleichsweise schmalen Schultern führen dafür dazu, dass der Pullover auch an mir akzeptabel sitzt – also kein Penner-Oversize-Modell, sondern schick und gewollt Oversize. Ich mag ihn sehr.
Hier noch einmal der direkte Vergleich. Ich finde, ich habe es sehr gut getroffen, mit dem Pullover und auch dem Model 😉
Das ist also ganz sicher nicht das letzte Mal, dass ich nach einer Anleitung von Brooklyn Tweed und mit der Jamieson’s Shetland Wolle gestrickt habe. Wieso habe ich auch nur einen Moment daran denken können, mit dem Stricken aufzuhören?
Verlinkt auf Creadienstag #278
0 Kommentare
kuestensocke
Wunderbare Fotos, hach man hat nicht immer so schöne Kulisse und Muße für ausgiebige Fotos. Ein sensationeller Pulli – da steckt soviel Liebe drin, ich hoffe Dein Mann weiß das zu würdigen. Der Pulli steht ihm ganz wunderbar, ach einfach der Hammer. LG Kuestensocke
blaue Seide
Oh ja, ich würde alle meine Fotos für den Blog am liebsten im Urlaub machen, die werden einfach ganz anders – eben durch die Muße und die Kulisse…Und ja, er weiß es zu würdigen und freut sich wie ein Kind über Komplimente von euch 🙂
Amely
Wow, toller Pulli! Die acht Monate Arbeit haben sich wirklich gelohnt! Stricken ist gar nicht mein Hobby, aber der Pulli gefällt mir so gut, dass ich doch mal kommentieren musste:)
LG Amely
blaue Seide
Lieben Dank, Amely! 🙂