Vintage Vogue Kleid
Von vielen Nähkolleginnen weiß ich, dass sie den Sprung in die selbstgenähte Retro-Kleidung oft erstmals über die festliche Garderobe wagen. Vor allem die hyper-femininen Linien der 50er Jahre Schnitte sind wie geschaffen für einen glanzvollen Auftritt bei einem besonderen Anlass.
Im Alltag ist es etwas anderes… Wie wirkt ein Vintage-Kleid im Büro der Zehner Jahre? Fühlt es sich anders an, Excel, SAP & Co im Petticoat zu bedienen?
Ich wollte es herausfinden, seit meiner ersten Nähstunde. Nach meinen ersten drei Röcken, die allesamt ohne Abnäher, Futter und sonstigem technischen Firlefanz ausgekommen sind, fühlte ich mich endlich soweit und bestellte das Schnittmuster Vogue Vintage 1084. Meine damalige Nählehrerin hat nur traurig gelacht… „Alles ist möglich, es wird nur lange dauern“, meinte sie. Ach, was sind schon fünf Monate auf dem Weg zu einem Traum!
Die Ausführung
Davon habe ich zwei Monate nur mit Anpassungen verbracht… Leider, leider sind die Vogue-Schnitte wohl nicht ganz das Richtige für mich. Hätte ich drei Körbchengrößen mehr Oberweite, hätte das Kleid in der kleinsten Größe auf Anhieb perfekt gepasst…
Stoff: In der Beschreibung zum Schnittmuster steht „Taftseide, Dupionseide, leichte Stoffe“… Für mich musste es ein „Alltagsstoff“ sein, ganz klar. (Irgendwann… trage ich auch Seide im Alltag )) Vielleicht keine Taftseide). Also griff ich zum schweren dunkelgrünen Wollstoff vom Abverkaufsstand. Abverkauf, da ich noch so unerfahren und das Kleid ein richtiger Stofffresser war. 2,70 Meter habe ich gekauft und es ist nicht mal ein Fitzelchen übrig geblieben!
Lessons Learned
Das Technische lasse ich hier mal beiseite 🙂 Seien wir uns ehrlich: das Kleid ist genäht von meiner Nählehrerin, nur eben mit meinen Händen. Ich nähte von Punkt A nach Punkt B, verklebte die Strecke von C nach D mit Vlieseline, trennte die Naht zwischen den Punkten E und F wieder auf… Was schade ist, denn ich werde mich wohl nie trauen, das Kleid noch einmal zu nähen, obwohl es von meinem heutigen Standpunkt aus gar nicht sooo schwierig wäre…
Alles zu seiner Zeit! Eigentlich bin ich jemand, der auf kleine Schritte setzt, einen Fuß nach dem anderen, sei es beim Nähen, Laufen, Tanzen… Hier war mein Wunsch stärker, als die Vernunft.
Dennoch möchte ich den schönen Bildern ein paar Überlegungen hinzufügen. Ich trage das Kleid seit mittlerweile fast zwei Jahren, und das oft und sehr, sehr gern. Zwei Nähte habe ich bereits flicken müssen (das sind natürlich die, die ich beim Nähen 2-3 Mal wieder aufgetrennt hatte!). Es fällt wunderschön, es ist weiblich, es hält warm im Winter, es passt zu mir.
Trotzdem: kommen wir zu den Lessons Learned – was könnte man besser machen?
Nur eine Kleinigkeit: Taillenweite
Die Schnittmuster der 50er zelebrieren die absolute Weiblichkeit. Die Betonung der Taille ist ein Markenzeichen – egal, ob bei eng anliegenden Wiggle-Kleidern oder bei Kleidern mit weit ausladenden schwingenden Röcken.
Das heißt – wenn ein dermaßen dicker und schwerer Stoff zu einem Vintage-Kleid verarbeitet wird, muss die Taille richtig fest sitzen. Der Bauch darf am Abend wieder raus und rein in die Jogging-Hose, versprochen.
Was hier gar nicht geht, sind großzügige Bequemlichkeitszugaben im Taillenbereich. Da der Stoff so dick und fest ist, macht er immer, was er will – in diesem Fall eine neue Taille.
Und so habe ich statt 60 – 68 cm (je 4 cm könnte man noch auf jeder Seite wegnehmen). Kein Drama, ich weiß… Aber warum wertvolle „Schlankmacher-cm“ verschenken, noch dazu, wenn man, wie ich, nicht einmal 1,60 groß ist?
Die Länge!
Die wahren Vintage-Liebhaber unter euch werden es schon bemerkt haben: die Kleidlänge ist nicht authentisch! Bedeckt gerade mal so die Knie! Ein Kleid, das Diors New Look nachempfunden ist, endet wo? Genau – 30 cm über dem Boden! Egal, wie groß oder klein eine Frau ist.
Ja, pfff, hab ich mir damals gedacht. Ich bin nur 1,59 groß, für mich gilt das nicht. So eine Länge ist unvorteilhaft. Knielang passt immer.
Es passt in der Tat immer, aber es ist nicht in jedem Fall – optimal. Nach zwei Jahren Tragezeit und dieser Fotoserie sehe ich deutlich, dass die authentische Dior-Länge hier mehr für mich getan hätte.
Sehen wir genauer hin – die Taillennaht ist, wie es damals üblich war, um 1,5-2cm gesenkt. Das ist ein weiterer Trick, um die Dame schlanker erscheinen zu lassen. Die modernen Schnittmuster platzieren gerne exakt an der schmalsten Stelle einer Frau eine Raffung oder einfach nur die Rocknaht. Hier darf das Auge hingegen gerne auf der Taille verweilen und sogar ein wenig runter wandern, wo sich bereits eine sanfte weibliche Rundung Richtung Hüfte ankündigt. Erst dann kommen die üppigen Falten, die wohlbemerkt nur seitlich und hinten platziert sind, die vorderen Rockbahnen sind nur leicht ausgestellt. Ein Meisterstück, dieses Schnittmuster!
Sehr raffiniert, diese Taillenlinie – aber was macht sie mit dem Oberkörper? Richtig, sie verlängert ihn. Was passiert dabei mit den Beinen? Sie werden kürzer. Schrecklich, oder? Ein Kleid, das die Beine verkürzt?.. Nicht, wenn man sich an die „Originallänge“ hält!
Die Rocklänge muss deutlich länger als der Oberkörper (genau gesagt, die Länge zwischen Schulter und runtergesetzter Taille) sein. Dann ist alles wieder richtig und an seinem Platz: schlanke Taille, weibliche Hüften, schwingender Rock, schmale Fesseln (sie sind IMMER schmal, wenn man als Vergleichsobjekt den 2 Meter-Rock weiter oben hat!). Die Silhouette stimmt wieder – und sie ist im Zweifelsfall immer wichtiger, als die absolute Körpergröße.
Hmmm, vielleicht sollte ich das Kleid doch noch einmal nähen…
Die Details
Und weil mich einige bei meinem ersten Vintage-Outfit gefragt haben, welche Oberbekleidung ich im Winter dazu trage: ich habe derzeit eigentlich nur die tolle – not! schwarze Steppjacke, herrlich leicht und bequem, im tollen Schwarz, das mir so gar nicht steht 🙂
Das ist mein längster Blogpost bisher, somit ist es höchste Zeit, mich zu verabschieden – ich wünsch euch viel Spaß beim Stöbern in den heutigen MeMadeMittwoch Kreationen!
0 Kommentare
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aschenputtelfashion
He. Ich bin grad über Instagram auf deinen Blog gestoßen 🌷 dieser Beitrag gefällt mir so gut. Super toll gestylt mit Liebe zum Detail. Sehr stylisch! Liebste Grüße Kerstin
epilele
Ein ganz großartiges Kleid und ich habe wieder viel gelernt heute. Danke
Liebe Grüße Epilele
frau_nadelbernd
Sehr hübsches Kleid und toller Post! Liebe Grüße, Nadine
futterstoff
Ein wunderschönes Kleid & danke für die ausführlichen Erläuterungen zu Länge und Stil.
LG, Jule
kuestensocke
Ein ganz zauberhaftes Kleid und vielen Dank für die vielen erläuternden Gedanken! du schaust hinreißend in dem Kleid aus. Ein längere Rock würde sicher ebenso zauberafhft aussehen, aber sorgt auch für viel Drama. Manchmal ist der Mittelweg genau richtig. LG Kuestensocke
blaue Seide
Du hast so recht, in diese Richtung habe ich noch gar nicht gedacht 🙂 Danke für deinen lieben Kommentar!
kleiderschmiede
Ein sehr tolle Kleid! Die Mühe hat sich gelohnt!
Alles Liebe,
Marianne
Onychophora
In der Stoffauswahl finde ich, sieht das Kleid sehr alltagstauglich aus.
Ich wäre auf jeden Fall dafür, dass du noch eine Variante nähst 🙂
Zuzsa
Wow, das ist ein wunderschönes Kleid geworden! All die Mühe hat sich definitiv gelohnt. Sehr schöne Stoff wahl und schönes Styling. LG, Zuzsa
Tanja / die fesche Lola
Danke für Deinen ausführlichen Bericht, sehr spannend. Was für ein wunderschönes Kleid und ich finde es auch tatsächlich alltagstauglich, zumindest in Deiner Kombination. So eine schmale Taille hätte ich auch gern. LG, Tanja
Anonymous
Schön zu lesen, ich hab was gelernt dabei, vielen Dank! Mit gefällt dein Kleid sehr gut und ich plädiere dafür, dass du alle Vorsichtigkeit hinter dir lässt und noch eins nähst. Es steht dir wirklich! Liebe Grüsse
blaue Seide
Danke schön!! Nach all den tollen Kommentaren… Vielleicht näh ich mir wirklich noch ein Sommerkleid 🙂
Christa
Schönes Kleid! Auf den Bildern sieht es auch in dieser Länge sehr stimmig aus, aber nicht mehr so nach „new look“, das stimmt. Nach dem, was du jetzt alles weißt, wäre es vielleicht sogar ein Vergnügen, den Schnitt nochmal zu nähen. Was sagt denn das Büro zur heutzutage ungewohnten Eleganz? LG Christa
blaue Seide
Spannende Frage, liebe Christa 🙂 Tja, sie sind – leider? zum Glück? schon einiges gewohnt von mir! Ich arbeite seit 6 Jahren in derselben Firma und hab verschiedene Stilphasen durchgemacht… Alles in einem aber sehr positiv, und am meisten gefällt es den Kolleginnen, wie der Rock hin und her schwingt beim Gehen! Das macht er nämlich ganz automatisch durch die Stofffülle…
Hana Mond
Das Kleid finde ich wundervoll – kommt auf meine Näh-Liste. Gleich hinter den Petticoat, den ich schon ewig plane …
Ich finde ich die Länge gut und würde sie (bin 1,60 groß) ebenfalls so machen – etwas kürzere Beine wären mir lieber als ein gestauchter Gesamteindruck.
Übrigens finde ich die Strumpfhose dazu ganz fabelhaft!
blaue Seide
Mein Petticoat ist übrigens gekauft 🙂 Nach fünf Monaten, in denen ich das Kleid genäht habe, hätte ich den Petticoat echt nicht gepackt 🙂 Irgendwann möchte ich mir aber auch noch einen nähen – gekauft gibt’s die ja nur in schwarz und weiß, und das stört die Farb-Fetischistin in mir 😉
sabinemichaela
Schön geworden das Kleid, kann ich mir gut vorstellen, dass es gerne getragen.
Und ich lese gerne mal mehr über ein Kleidungsstück. Als nur so da ist Teil und fertig.
Lg SAbine